Spotify, Netflix, Amazon: Die Kultur-Flatrate ist Realität – und was haben wir jetzt davon?

Angebot für «Kindle Unlimited» (Screenshot vom 1.8.2015)

Angebot für «Kindle Unlimited» (Screenshot vom 1.8.2015)

Liest man den Wikipedia-Artikel zur Kultur-Flatrate, dann hat man den Eindruck, dass es eine gesellschaftliche, kulturpolititische und juristische Revolution bräuchte, um dieses Konzept zu verwirklichen. Tatsächlich ist die Kultur-Flatrate aber bereits Realität – mit dem feinen Unterschied, dass sie nicht vom Staat für alle Bürger verordnet ist, sondern nur für jene gilt, welche freiwillig eine Monatsgebühr an ein privatwirtschaftliches Unternehmen zahlen. Ausserdem sind die digitalen Inhalte nicht frei, aber Kunden können beliebig viel davon konsumieren.

Ich bin niemand, der im freien Markt die Lösung für alle Probleme sieht. In diesem Fall muss man jedoch eingestehen, dass die Marktwirtschaft über Nacht ein Angebot geschaffen hat, welches noch vor kurzer Zeit als Utopie galt. Wer will, kann über Spotify (fast) jedes Musikalbum hören, bei Netflix aus zig Filmen und Serien auswählen, und dank Amazon (fast) jedes Buch lesen. In der Summe kostet das grob gerechnet zwischen 30 und 40 Franken im Monat – das entspricht ungefähr den Gebüren für das öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehprogramm.

Kultur zum Pauschaltarif gab es schon immer

Wie so oft in der Geschichte des Internets haben auch bei den Flatrate-Angeboten privatwirtschaftliche Unternehmen Tatsachen geschaffen, bevor sich Politik und Gesellschaft ernsthaft damit auseinandersetzen konnten. Auch wenn sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt, so lohnt es sich trotzdem darüber nachzudenken, wie diese neue Vermarktungsform unsere Kultur verändert – und ob wir diese Veränderung wirklich wollen.

Zunächst müssen wir allerdings festhalten, dass das Konzept der Kultur-Flatrate in einer bestimmten Form schon länger existiert. Denken Sie an Radio und Fernsehen, denken Sie an Bibliotheken und Videotheken: Über diese Kanäle konnten wir schon immer Musik, Filme und Bücher a discrétion konsumieren. Allerdings konnten weder die elektronischen Medien noch die Bibliotheken den persönlichen Besitz von CDs, DVDs und Büchern vollständig ersetzen. Wer jederzeit ein bestimmtes Album hören, einen bestimmten Film sehen oder in einem bestimmten Buch nachschlagen wollte, kaufte diese noch immer. Die Umsatzeinbussen durch Rundfunk und Verleih hielten sich in Grenzen oder wurden durch den Promotionseffekt sogar wettgemacht.

Diesen Promotionseffekt gibt es natürlich auch bei den Streaming-Diensten: Vielleicht entdecke ich auf Spotify einen Song, der mir gefällt; ich höre mir weitere Titel dieser Band an, gehe vielleicht an eines ihrer Konzerte oder bestelle sogar einen Fanartikel. Was ich aber ziemlich sicher nicht machen werde: Ich werde mir keine CD kaufen, weil ich jederzeit jeden beliebigen Song dieser Band streamen kann. Und genau das ist es, was digitale Flatrate-Dienste so radikal von ihren Vorgängern unterscheidet: Was sie zu bieten haben, macht einen Kauf in aller Regel überflüssig.

Musik-Streaming: Ein schlechtes Geschäft für die Musiker

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Musiker mit Spotify, Apple Music und Co. nicht glücklich sind. Im Vergleich zu dem, was sie an einer CD oder an einem iTunes-Download verdienen, ist die Entschädigung für eine Streaming-Wiedergabe tatsächlich sehr bescheiden.

Die Zahlen, die in den Medien herumgereicht werden, sind unterschiedlich, zumal es weder den Plattenvertrag noch den Streaming-Dienst gibt. Ausserdem muss man unterscheiden zwischen Künstlern mit einem Label-Deal und jenen, die sich selbst vermarkten. Man darf aber davon ausgehen, dass bei einer verkauften CD einige wenige Franken an die Künstler gehen, während es bei einem gestreamten Song nur Bruchteile eines Rappens sind. Das bedeutet, dass ein Musiker pro entgangenem CD-Verkauf ein Vielfaches an Streaming-Hörern gewinnen muss, um ein vergleichbares Einkommen zu erzielen, wie die Infografik von David McCandless anschaulich zeigt.

Betrachten wir es nun aus Sicht des Hörers. Falls ich eine CD nur wegen eines einzigen Songs kaufe, diesen ein Dutzend mal höre und die CD dann in den Schrank stelle, dann habe ich unter dem Strich vielleicht CHF 1.50 pro Wiedergabe dieses Songs bezahlt. Lege ich die CD hingegen ein Jahr lang täglich in den Player und höre sie vom Anfang bis zum Ende, dann kostet mich das rund einen halben Rappen pro Song und Wiedergabe. Für mich als Hörer ist Musikkonsum ab CD also je nach dem Wucher oder ein Schnäppchen. Was der Musiker dafür bekommt bleibt hingegen konstant, und interessanterweise verdient er an seinen besten Fans am wenigsten, wenn man es auf die Songwiedergabe herunterrechnet.

Nicht das Modell, sondern die Tarife sind das Problem

Und damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Die Streaming-Dienste zahlen nicht einfach schlechter, sondern sie verwenden ein komplett anderes Vergütungsmodell, als es die Musiker von der CD her kennen. Beim Streaming wird die effektive Nutzung des einzelnen Titels vergütet, während bei der CD die Vergütung über eine einmalige Pauschale erfolgt. Und es drängt sich die Frage auf, ob das Modell der Streaming-Dienste nicht mindestens so fair ist das Modell des CD-Verkaufs.

Mir scheint, wir sollten mehr über die Tarife als über das Modell der Streaming-Dienste reden. Und wenn es tatsächlich so ist, dass beim Streaming zu wenig für die Musiker abfällt, dann gibt es genau zwei Ansatzpunkte, um dies zu ändern: Entweder man erhöht die Preise der Streaming-Abos und hat dann mehr Geld zu verteilen – oder man passt den Verteilschlüssel zugunsten der Musiker an.

Eine substantielle Preiserhöhung scheint mir unrealistisch. Würde ein einzelner Dienst plötzlich höhre Abogebühren verlangen, wo würden die Hörer schnell zur Konkurrenz abwandern. Und würden alle Anbieter geschlossen ihre Preise erhöhen, dann würde dies die Attraktivität von illegalen Musik-Downloads erhöhen. Nachdem die Musikbranche nun endlich funktionierende Vertriebskonzepte für das Internet entwickelt hat, möchte man diese selbstverständlich nicht gefährden. Auch für Premium Services (grössere Auswahl, bessere Tonqualität, Offline-Nutzung etc. gegen höhere Abogebühren) findet man nicht beliebig viele Kunden. Substantiell mehr Einnahmen lassen sich deshalb einzig über mehr Abonnenten erzielen.

Beim Verteilschlüssel würde sich bestimmt etwas machen lassen. Allerdings sind es nicht die Streaming-Dienste, welche den Grossteil der Einnahmen einstreichen, sondern die Musiklabels, also die direkten Vertragspartner der Musiker. Statt die Streaming-Dienste zu kritisieren wäre es also zielführender, wenn die Musiker mit ihren Labels über die Konditionen ihrer Zusammenarbeit sprechen würden. Oder sie gehen gleich den Weg der Selbstvermarktung, der dank des Internets wesentlich einfacher geworden ist, denn dann sieht die Rechnung nochmals ganz anders aus.

Auch Autoren sind im Flatrate-Zeitalter angekommen

Spätestens seit Amazon mit «Kindle Unlimited» gestartet ist müssen sich auch Buchautoren mit dem Konzept einer Kultur-Flatrate auseinandersetzen. Die Monatsgebühren für das unbeschränkte Lesevergüngen bewegen sich auf ähnlichem Niveau wie bei den Streaming-Diensten, und somit dürfen Autoren ähnlich bescheidene Vergütungen erwarten wie Musiker. Natürlich: Keiner ist gezwungen, bei Flatrate-Programmen mitzumachen – aber wer kann es sich wirklich leisten, abseits zu stehen?

Und wie sieht das aus Sicht des Lesers aus? Natürlich ist es verlockend, sich aus einer riesigen Bibliothek bedienen zu können. Trotzdem habe ich mich bisher nicht zu einem «Kindle Unlimited»-Abo entschliessen können, obwohl ich die Flatrate-Angebote von Spotify und Netflix schätzen gelernt habe. Irgendwie sind Bücher für mich persönlich eben doch etwas anderes als Musik und Filme. Erstens will ich nicht irgend ein Buch lesen, sondern meist ein ganz bestimmtes, was bei der durchaus limitierten Auswahl der heutigen Buch-Flatrates schnell zum Problem wird. Und zweitens habe ich bei Büchern – anders als bei Musik und Filmen – viel stärker das Bedürfnis, sie zu besitzen. Die Vorstellung, bei der Kündigung des Flatrate-Abos meine gesamte Bibliothek mit allen Markierungen und Notizen zu verlieren, scheint mir weit schlimmer als der Verlust meiner Playlists. Und deshalb werde ich meine Bücher wohl auch in Zukunft ganz normal kaufen – oft als E-Book, aber manchmal sogar in der gedruckten Ausgabe.

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