Donald Trump

Donald Trump und das Targeting

«Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt»: Dieser Artikel, der gestern im MAGAZIN erschienen ist, gehört zweifellos zu den wichtigsten Texten des Jahres. Er beschreibt, wie Donald Trump durch geschicktes Targeting Präsident der USA wurde. Und er warnt davor, dass in Zukunft dank Cambridge Analytica weitere Demagogen in hohe Ämter gewählt werden könnten. Ein faszinierender und zugleich erschreckender Artikel – der allerdings einen Teil der Analyse schuldig bleibt.

Fünf Dimensionen bestimmen unsere Persönlichkeit

Kurz zusammengefasst geht es um folgendes: In der Psychometrik (einem Teilgebiet der Psychologie) existiert seit geraumer Zeit die OCEAN-Methode. Diese beschreibt den menschlichen Charakter anhand von fünf Dimensionen, die auch als «The Big Five» bezeichnet werden:

  • Openness to experience (Offenheit gegenüber Neuem)
  • Conscientiousness (Pflichtgefühl, Perfektionismus)
  • Extraversion (Extravertiertheit, Interesse an sozialen Kontakten)
  • Agreeableness (Empathie, Kooperationsbereitschaft)
  • Neuroticism (Verletzlichkeit)

Hat man das OCEAN-Profil eines Menschen erhoben, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit dessen Denken und Handeln voraussagen. Und natürlich kann man dieses Denken und Handeln auch besser manipulieren, weil man eben die Bedürfnisse und Ängste sehr genau kennt.

Was Facebook Likes über uns aussagen

Wie gesagt: Persönlichkeitstests nach der OCEAN-Methode gibt es schon lange – allein damit wäre Trump nicht US-Präsident geworden. Ein zweites wichtiges Element sind die Forschungen des Psychologen Michal Kosinski, der im Zentrum des MAGAZIN-Artikels steht: Er hat gezeigt, dass man allein aufgrund ihres Facebook-Profils überraschend viel über eine Person aussagen kann.

Kosinski hat insbesondere folgendes herausgefunden: «70 Likes reichen, um die Menschenkenntnis eines Freundes zu überbieten, 150 um die der Eltern, mit 300 Likes kann die Maschine das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner.» Kosinski errechnet aus den Likes nicht nur ein OCEAN-Profil, sondern macht auch Aussagen über Intelligenz, Lebenszufriedenheit und Leadership-Potential sowie sexuelle, politische und religiöse Orientierung. Wer es selbst ausprobieren möchte: Der Test ist auf der Website der University of Cambridge zu finden.

Targeting im US-Wahlkampf

Aber auch Michal Kosinski ist nicht Schuld daran, dass Donald Trump entgegen aller Prognosen gewählt wurde. Diese zweifelhafte Ehre gebührt – so der Artikel – der Firma Cambridge Analytica, welche das OCEAN-Modell, die Erkenntnisse von Kosinski sowie kommerziell erhältliche Personendaten zu einem hoch präzisen Targeting kombiniert hat. So kann jede einzelne Zielperson mit genau jenen Argumenten angegangen werden, für die sie – aufgrund des errechneten Persönlichkeitsprofils – besonders empfänglich ist.

Wie das funktioniert, erklärte Alexander Nix, CEO von Cambridge Analytica, am Concordia Summit:

Fazit: Donald Trump ist dank hochpräzisem Targeting gewählt worden, welches nicht nur auf geografischen und demografischen, sondern auch psychografischen Kriterien basierte. Sein Wahlkampf-Team konnte dank Big Data den unentschiedenen Wählern exakt jene Argumente liefern, die zu ihren jeweiligen Persönlichkeiten und Lebensumständen passten. Und das funktionierte nicht nur über personalisierte Online-Anzeigen, sondern auch im Wahlkampf von Tür zu Tür: Wahlkampfhelfer hatten eine App zur Verfügung, welche ihnen genau sagte, an wessen Tür sie jeweils klopften.

Die Atombombe des digitalen Zeitalters?

«Faszinierend und erschreckend» – das war meine erste Reaktion, als ich den MAGAZIN-Artikel gelesen hatte. Darauf ist der Artikel auch angelegt, denn er erzählt das Ganze aus der Perspektive des Psychologen Michal Kosinski, dessen Forschungsarbeit für eine politische Kampagne missbraucht wurde. Und indem er die Brücke zwischen Brexit, Trump und Le Pen schlägt, suggeriert uns der Text: Cambridge Analytica hat die Atombombe des digitalen Zeitalters entwickelt, die freie Meinungsbildung der Wähler ist ausgeschaltet, und wir werden in Zukunft durch (potentiell rechtskonservative) Demagogen regiert. Ganz so einfach (und dramatisch) ist es aber wohl nicht.

Targeting als Grundprinzip von Kampagnen

Zunächst sollten wir festhalten: Targeting ist an sich nichts Neues, sondern seit jeher eine Kernaufgabe im Marketing und in der Politik. Bei jeder Kampagne definiert man zunächst eine Zielgruppe, selektiert also jene Teilmenge der Gesamtbevölkerung, bei der man sich die besten Erfolgschancen ausrechnet. Und in einem zweiten Schritt wird dann – basierend auf dem Wissen, das man über diese Zielgruppe hat – eine geeignete Botschaft formuliert.

Die Digitalisierung hat dies insofern verändert, als die Konsumenten und Wähler nicht mehr bloss Teil von gewissen Zielgruppen sind, sondern zu individuell ansprechbaren Zielpersonen werden. Dies liegt einerseits daran, dass wir alle durch unser Online-Verhalten sehr viel über uns preisgeben, eben «Big Data» produzieren. Und es liegt andererseits daran, dass digitale Medien keine Massenmedien mehr sind, sondern Werbebotschaften individuell und abhängig von verschiedensten Parametern ausspielen können. Allerdings hat das wenig mit Cambridge Analytica zu tun, sondern es ist alltäglich in der Online-Werbung. Jeder Tante-Emma-Laden kann heute eine Anzeigenkampagne auf Facebook oder auf Google Search mit hochpräzisem Targeting schalten.

Ist Targeting undemokratisch?

Targeting macht Werbekampagnen für Werbetreibende wesentlich effizienter: Es reduziert den Streuverlust und erhöht den Return on Investment. Und Targeting ist es auch, was Unternehmen wie Google und Facebook reich macht. Für den Konsumenten dagegen ist Targeting ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sieht er mehr relevante Werbung, andererseits fühlt er sich zunehmend manipuliert und in seiner Privatsphäre bedroht (insbesondere beim Re-Targing). Trotzdem muss man sich fragen, warum es uns erschaudern lässt, wenn Cambridge Analytica nun Targeting auch für politische Kampagnen einsetzt. Ist Targeting denn unmoralisch oder gar undemokratisch? Macht Targeting die Wähler und Stimmbürger beliebig manipulierbar?

Auch ohne Targeting wurden in der Vergangenheit schon zweifelhafte Persönlichkeiten gewählt und fragwürdige Abstimmungen gewonnen. Manipulation ist auch ohne Targeting möglich, und Targeting muss nicht zwangsläufig zur Manipulation eingesetzt werden. Aber natürlich macht Targeting auch Manipulation effektiver, und es ist eine beängstigende Vorstellung, dass in Zukunft nicht mehr Argumente, sondern Datenanalysten den Ausgang unserer Wahlen und Abstimmungen entscheiden. Trotzdem scheint es mir verfrüht, das Ende der Demokratie auszurufen. Aber es scheint mir genau der richtige Moment, dass wir ernsthafter als bisher über die Bedeutung unserer Medien, über die Medienkompetenz unserer Gesellschaft und über unsere politische Kultur diskutieren.

(Foto: Gage Skidmore)

2 Kommentare
  1. Roman
    Roman sagte:

    Danke für die wirklich sehr gute Einordnung. Ich möchte aber noch auf einen Punkt hinweisen, in dem Cambridge Analytics vom «klassischen Targeting» abweicht. Das ist die Persönlichkeitsanalyse. Die Vorhersage von Persönlichkeitseigenschaften aus relativ einfach zu erlangenden Daten ist ein Novum. Für die von Ihnen angesprochene Medienkompetenz ist das insofern wichtig, als dass man sich nicht nur darüber Bewusst sein sollte, dass man gezielt Werbung für xy bekommt, sondern auch das diese auf der emotionalen Ebene eine gezielte Botschaft vermittelt.
    Für mich stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch Kapazitäten für das «normale/proaktive» Leben hat, wenn man ständig in der Defensive reflektieren muss, was empfangenen Nachrichten mit einem machen.

    Antworten
  2. upf
    upf sagte:

    Ich finde es gut, darauf hinzuweisen, dass man nicht gleich in Panik ausbrechen muss. Allerdings hört mir der Artikel zu früh auf. Gerade im vorletzten Abschnitt werden zwei wichtige Fragen aufgeworfen, aber nicht näher betrachtet. Insgesamt ist die Entwicklung nämlich durchaus gefährlich für die Meinungsbildung des Volkes und deshalb kritisch zu betrachten.

    Denn natürlich macht diese Art von Targeting, wie sie im Original-Artikel beschrieben wurde, «die Wähler und Stimmbürger beliebig manipulierbar». Einfach weil man jedem Menschen individuell in seinen eigenen vier Wänden alles versprechen kann, was dieser hören will. Es gibt dabei keine dritte Person/Personengruppe, die eine andere Meinung haben könnte und während des Gesprächs korrigierend eingreifen oder etwas völlig anderes fordern könnte. Man kann also jeden Menschen ungestört so lange bearbeiten, bis er überzeugt ist – und das ist bei so einem ungleichen Gespräch vermutlich nicht allzu lange. Wenn der gewählte Kandidat dann nicht alles macht, was den Leuten individuell versprochen wurde, dann war das halt irgendein Missverständnis und nicht von öffentlichem Interesse. Das ist, auch wenn es häufiger vorkommt, für das Ansehen des Kandidaten vermutlich nicht halb so dramatisch wie öffentliche Aussagen im Fernsehen, die sich im Nachhinein als leeres Wahlkampfgeschwätz oder gar handfeste Lügen herausstellen (und diese schaden den Politikern auch viel zu selten nachhaltig).

    Öffentliche politische Standpunkte, öffentliche Diskussionen und ein Ringen nach der Wahrheit zwischen zwei politischen Lagern – Dinge, nach denen Wähler bisher entschieden haben, gibt es in so einem System nicht mehr. Ein Donald Trump hat vorgemacht, wie man ohne konkrete Aussagen, nur mit Behauptungen, von denen die meisten nachweislich falsch waren, einen Wahlkampf gewinnen kann. Trump stand im Wahlkampf inhaltlich für fast nichts, und das ist der Grund warum man so viel in ihn hineininterpretieren kann und warum es so leicht ist, seine Sprüche mal so und mal so auszulegen. Sein markiger Wahlkampfslogan bedeutet für jeden Bürger etwas anderes und viele finden das, was sie selbst darin sehen, natürlich gut.

    Selbstverständlich gab es in der Vergangenheit schon obskure Wahlergebnisse, selbstverständlich kassierten auch etablierte Politiker und Parteien immer mal wieder Wahlkampfversprechen ein. Allerdings habe ich den Eindruck, dass das in den letzten Jahren (zumindest hier in Deutschland) zugenommen hat und die Politiker immer mehr den Leuten nach dem Mund reden und immer frecher ins Gesicht lügen um gewählt zu werden – getreu der Aussage von Franz Müntefering, dass es ja unfair sein, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.

    Diese generelle politische Entwicklung zusammen mit den neuen (Missbrauchs-)Möglichkeiten des Targeting lassen mich durchaus ratlos und besorgt um unsere demokratischen Errungenschaften hier in Europa zurück.

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