Cybercafés in der Schweiz

Neue Zürcher Zeitung, 11. September 1995

Martin Sauter

Man mag der Schweiz Isolationismus vorwerfen – technologisch ist sie jedenfalls voll in das «globale Dorf» des Internet integriert. Die Zubringer zur weltumspannenden Datenautobahn sind hierzulande bestens ausgebaut. Entsprechend häufig trifft man auf E-Mail-Adressen, deren Endung «.ch» die Datenreisenden als in der Confoederatio Helvetica beheimatet ausweist: Mehr als 100’000 sollen es laut Schätzungen der Fachpresse inzwischen sein. Darunter finden sich nicht nur Angehörige von Lehr- und Forschungsanstalten, auch viele Geschäftsleute und Privatpersonen sind innert kürzester Zeit zu virtuellen Kosmopoliten geworden. Der gegenwärtige Boom führt sogar zu höchst realen Problemen: Stau auf der Datenautobahn. Zur Rush Hour nach Beginn des Telecom-Niedertarifs ist gelegentlich kein Durchkommen mehr.

Doch auch im informationstechnisch hochentwickelten Land Schweiz sind die Internet-Nutzer eine Minderheit. Die Medien berichten zwar bei jeder Gelegenheit über das Internet – ob nun scheinheilig warnend vor digitaler Pornografie oder frohlockend über das neue Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für Aussenstehende jedoch ist die hektische Betriebsamkeit im Netz kaum wahrnehmbar, denn die virtuelle Weltgemeinschaft kennt keine Zaungäste: Man ist entweder drin oder eben draussen. Und der Schritt vom Draussen ins Drinnen führt über eine hohe Schwelle aus Infrastruktur, Know-how und Geld.

Diese Schwelle abzubauen ist das Ziel der Cybercafés, die in den letzten Monaten in vier Schweizer Städten eröffnet worden sind. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht bietet jedes von ihnen Internet-Reisen für jedermann. Dazu gehören vernetzte Computer, deren Nutzung im Stundentarif (Grössenordnung 20 Franken) verrechnet wird, sowie geschultes Personal, das notfalls Verirrte rettet und gelegentlich auch Demonstrationen oder Schulungen durchführt. Das Ambiente ist dagegen sehr unterschiedlich, wie etwa Besuche in der «@Lounge» (Basel) und im «BZ Internet C@fé» (Bern) zeigen. Das Cybercafé gibt es nicht – oder noch nicht: Allen Betreibern kommt früher oder später der Satz über die Lippen, dass es sich um einen Versuch handle und man erst die Reaktionen des Publikums testen müsse.

Die Pionierrolle hat hierzulande die Mitte Mai eröffnete «@Lounge» des Internet-Anbieters Nethos übernommen. Halbwegs Eingeweihte erkennen bereits am @-Zeichen (dem sogenannten «Klammeraffen», der in jeder E-Mail-Adresse auftaucht), dass hier nicht nur Kaffee für den Gaumen, sondern vor allem eine multikulturelle Mixtur für Auge und Ohr serviert wird. Die Signalwirkung dieses Namens ist auch wichtig, denn von aussen ist dem idyllischen Häuschen in der St. Johanns-Vorstadt 18 kaum anzusehen, welchem Zweck es dient. Wer es betritt, der glaubt sich kaum in einem Café – eher in einer Galerie oder einem gepflegten Computershop. Der kleine, dezent durchgestylte Raum ist mit einem halben Dutzend Computern gefüllt, die zur Reise in den unendlichen Cyberspace einladen. Die Belegschaft der «@Lounge» ist da mehr Touristenführer als Kellner – zudem ist der Kaffee gratis, man zahlt für die Benutzung des Rechners.

«Wir haben ein ausgesprochen gemischtes Publikum», berichtet Rik Gelles, «von Teenies bis zu Rentnern. Auch ganze Familien waren schon hier.» Insofern erfüllt die «@Lounge» ihren Anspruch, das Internet zusätzlichen Benutzergruppen zu öffnen. Die Betreiber kennen allerdings keinen missionarischen Eifer: «Es wird immer Menschen geben, die das Internet nicht nutzen, und das ist nicht per se schlecht,» gibt Felix Stalder zu bedenken. «Der Cyberspace ist nur einer von vielen sozialen Räumen.» Ein zweites Ziel scheint demgegenüber noch weiter entfernt: Der unmittelbare Gedankenaustausch zwischen den Besuchern – der sich zudem über das Medium Internet hinaus mit dessen Inhalten beschäftigen würde – entsteht nur zögerlich. Dies führt zur absurden Situation, dass virtuell Kommunizierende real schweigen.

Dieser Gefahr sind sich auch die Initianten des anfangs August eröffneten «BZ Internet C@fés» bewusst. Franziska von Weissenfluh, Verlagsdirektorin der Berner Zeitung BZ, wählte deshalb einen Ort, wo Kommunikation unter den Besuchern bereits Tradition hat. Faktisch besteht dieses Cybercafé aus zwei Computern, die im bisherigen «BZ Café» in der Berner Altstadt installiert wurden. Zudem fragt man die zentral im Raum plazierten Terminals im Stehen ab: Wer sie benutzt, exponiert sich zwangsläufig und lockt damit Neugierige an – ein Gespräch ergibt sich quasi von selbst. Und die Kaffeehaus-Atmosphäre gab es hier schon vor dem Internet-Anschluss.

In Basel macht man sich ebenfalls Gedanken darüber, welche Ambiance dem öffentlichen Internet-Konsum am förderlichsten wäre. Gelles will der «@Lounge» den Charakter eines Cafés oder einer Bar verpassen, jedenfalls weg vom sterilen Techno-Image. Allerdings soll kein Insider-Treffpunkt für die Avantgarde in Sachen Kunst oder Lifestyle entstehen, wie es der gebürtige Amerikaner Gelles in Cybercafés seiner Heimat gesehen hat, sondern ein Lokal für das breite Publikum. Multimediale Performances sind keine geplant, allenfalls ein Videosystem, welches einen Blick in andere Cybercafés auf dem Globus erlaubt.

Basel oder Bern – das ist nicht New York, und dies spiegelt sich auch in den hiesigen Cybercafés. Die Schweizer sollen in einer vertrauten Umgebung Kontakt mit der virtuellen Welt aufnehmen können. Genau dies entspreche nämlich ihrem Wesen, wie es Stalder provokativ formuliert: «Schweizer reisen gerne, real und virtuell. Das Interesse für die Welt ist vorhanden – vorausgesetzt man findet bei der Rückkehr das eigene Land unverändert vor.» Das Internet: kein Tor zur weiten Welt, aber zumindest ein Fenster mit Aussicht darauf.

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