#TTIP, #VR und #AI: Trending Topics an der re:publica TEN
«Europe’s most exciting conference on Internet and society»: Das ist – gemäss der re:publica-Website – in nur 10 Jahren aus dem einstigen Berliner Blogger-Treffen geworden. Mit jedem Jahr wurde die Veranstaltung etwas grösser, das Themenspektrum etwas breiter, der Auftritt etwas professioneller. Doch eines ist geblieben: Die re:publica zeigt, welche Themen für die digitale Gesellschaft relevant sind, und zwar weit über das Online-Marketing hinaus.
#TTIP
Es ist sicher kein Zufall, dass die geheimen TTIP-Dokumente ausgerechnet diesen Montag veröffentlicht wurden. Denn an diesem Tag begann in Berlin die re:publica, und Greenpeace nutzte eine kurzfristig angesetzte Session, um über die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zu informieren. Die zahlreichen Blogger, Twitterer und YouTuber (die schon bei ACTA ihre kritische Haltung gegenüber solchen Abkommen bewiesen hatten) verbreiteten #TTIPleaks innert Kürze im Netz, und die etablierten Medien legten umgehend mit detaillierten Berichten und Analysen nach.
#Netzpolitik
Aber TTIP war nur eines der vielen netzpolitischen Themen, welche an der re:publica diskutiert wurden. Markus Beckedahl von netzpolitik.org fasste zusammen, was derzeit auf der politischen Agenda steht: Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Massenüberwachung durch Geheimdienste, Datenschutz, Netzneutralität, Urheberrecht, Risiken des Internet of Things, Rechte der Konsumenten an digitialen Inhalten, Privatsphäre im Zeitalter der automatischen Gesichtserkennung und – last but not least – die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz.
Allen diesen Themen ist gemein, dass sie die digitale Gesellschaft massgeblich prägen, dass aber ihre gesetzliche Regulierung längst nicht immer gemäss den Interessen der breiten Bevölkerung erfolgt. Beckedahl appellierte deshalb einmal mehr an die re:publica-Besucher, das Feld nicht den Konzern-Lobbyisten und Geheimdiensten zu überlassen (vgl. «Fight for your digital rights»).
#Hass
Wer die re:publica über mehrere Jahre besucht hat, hat auch die zunehmende Ernüchterung der Netzgemeinde miterlebt. Zwar haben die Internet-Pioniere recht behalten bezüglich der Bedeutung der Digitalisierung. Sie mussten aber auch einsehen, dass viele Hoffnungen in das neue Medium naiv waren, dass das Internet unerwünschten Nebenwirkungen hat, und dass es auch von Demagogen, Kriminellen oder Terroristen genutzt wird. War in den letzten beiden Jahren die Massenüberwachung durch Geheimdienste das dominierende Thema, so wurde dieses Jahr – wohl unter dem Eindruck von PEGIDA und AfD – im Track «Hate it» über den Umgang mit Hasskommentaren gegen Minderheiten (v.a. Ausländer und Flüchtlinge) diskutiert.
Ein anderer Aspekt von problematischen Inhalten im Netz ist Commercial Content Moderation (CCM). Auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder YouTube werden natürlich nicht nur Katzenvideos hochgeladen, sondern auch Aufnahmen von Gewalttaten aller Art. Weil derartige Inhalte auch mit Künstlicher Intelligenz nicht zuverlässig erkannt werden können, müssen alle Uploads von Menschen gesichtet werden. Diese monotone, schlecht bezahlte und emotional enorm belastende Arbeit wird oft in Drittweltländer (v.a. die Philippinen) ausgelagert. Sarah T. Roberts und Moritz Riesewick haben dieses wenig beachtete Thema ins Bewusstsein der Netzgemeinden gerückt.
#AI
Das seit AlphaGo hochaktuelle Thema der Künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) hat auch an der re:publica seinen Niederschlag gefunden. Naturgemäss interessierten auf dieser Konferenz allerdings weniger die technischen Möglichkeiten als deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Insbesondere ging es um die Frage, auf welchen moralischen und ethischen Grundlagen Algorithmen ihre Entscheidungen treffen.
In einem hoch spannenden Vortrag zeigte beispielsweise Kate Crawford, dass Künstliche Intelligenz keineswegs wertfrei ist, sondern dass sie die rassistischen oder sexistischen Vorurteile ihrer Schöpfer übernimmt – beispielsweise wenn man per Bildanalyse Jihadisten ausfindig zu machen versucht (vgl. «Know your terrorist credit score!»)
#Snapchat
«Ein Gespenst auf gelbem Hintergrund geht um auf der wichtigsten Internetkonferenz Europas», schrieb der SPIEGEL. Auch wenn diese Anspielung an das Kommunistische Manifest inhaltlich ziemlich sinnfrei ist, so ist doch unbestreitbar, dass Snapchat an der diesjährigen re:publica überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit erhalten hat.
Während sich die einen noch von einem Teenager die Grundlagen der App vermitteln liessen (siehe «Snapchat für Erwachsene»), machten sich andere bereits Gedanken darüber, ob und wie sich Snapchat für politische und kommerzielle Zwecke nutzen liesse (siehe «Let’s snap it: How organisations can use Snapchat»). Klar ist im Moment aber nur, dass Snapchat Facebook als bevorzugte Social-Media-Plattform der Teenager und Twens abgelöst hat: Von den 100 Millionen Usern, welche derzeit täglich(!) Snapchat nutzen, sind gut 70 Prozent unter 25 Jahre alt.
#VR
An Virtual Reality kam dieses Jahr kein re:publica-Besucher vorbei: Im «Labore:tory» präsentierten sich VR-Projekte für Cardboards, Samsung Gear VR, Oculus Rift oder HTC Vive über insgesamt vier Stockwerke. Wer noch nie ein solches Headset getragen hatte, konnte sich im VR-Kino einen Eindruck davon verschaffen, wie Filme und Games in naher Zukunft aussehen werden.
Andernorts wurde darüber diskutiert, wie das Storytelling im 360-Grad-Panorama funktionieren könnte und wie sich die Arbeit von Regisseuren durch den Rundumblick der Kamera verändert. Natürlich interessiert dies nicht zuletzt die Fernsehanstalten, und so präsentierten im Rahmen der Media Convention auch ZDF und Arte ihre Pilotprojekte in diesem Bereich (vgl. «Sind wir schon drin? Virtual Reality Projekte und ihre Plattformen», ab 08:15).
#SaschaLobo
Ach ja: Sascha Lobo war wieder da. Er erklärte, warum er im Vorjahr durch Abwesenheit glänzte, und beklagte die Macht- und Wirkungslosigkeit der Internet-Avantgarde angesichts von Überwachung und Radikalismus im Netz. Zugleich rief er aber dazu auf, nicht zu resignieren und proklamierte «The Age of Trotzdem».
Wenn Sie allerdings eine Stunde Zeit übrig haben, dann würde ich Ihnen fast eher den Vortrag «Cargo-Kulte» von Gunter Dueck empfehlen: Aufbauend auf seinem letztjährigen Thema «Schwarmdummheit» analysierte er einmal mehr den alltäglichen Wahnsinn in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien.
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